Der hier veröffentlichte Text ist dem vollständigen Yachttest der Zeitschrift "Yacht" entnommen. Sie können die PDF-Datei mit dem vollständigen Artikel downloaden. Dieser Artikel enthält aussagekräftige Bilder, detallierte Diagramme, Vergleiche zu anderen Yachten sowie präzise technische Angaben. (Autor: Fridtjof Gunkel, Heft 23/2014)

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Yachttest der Hanse 455

Hanse 455: Neuheiten

Nur ein Aufguss oder eine echte Bereicherung der Flotte? Ist das neue Boot mehr als nur ein Zahlenspiel? Hanseyachts lässt ihrer durchaus erfolgreichen 455 (fast 200 verkaufte!) eine 455 folgen. Sicherlich muss und kann der tiefe Teller nicht mit jedem Boot wieder erfunden werden. Muss auch nicht; neue Modelle sind nun mal per se förderlich für Öffentlichkeit und Verkauf. Und eine konsequente Weiterentwicklung unter Beibehaltung der Stärken eines Typs können sehr sinnvoll sein, wie Bavaria mit der jüngsten Flotten-Überarbeitung beweist.


Indessen: Die Hanse 455 bringt mehr Neuheiten mit. Die Breite blieb, die Länge wuchs, um immerhin 60 Zentimeter. Dies macht sich unter anderem im Cockpit bemerkbar. Immerhin 1,70 Meter lang gerieten die Duchten, und sie sind L-förmig, offerieren also mehr Sitz-und Ablagefläche. Der Steuermann sitzt nun, wenn er denn die Position direkt hinter den Rädern bevorzugt, komfortabel auf Backskistendeckeln; bei der  Vorgängerin musste er noch Sitze ausklappen. Das Heck ist mit geöffneter Badeplattform somit nur noch halboffen, was viele Kunden bevorzugen, so die Werft. Wird die Heckklappe abgefiert, gibt sie Stauraum für eine Rettungsinsel frei; eine gute Lösung - hier ist sie immer gut erreichbar.

Der Backskistenstauraum fällt mit zwei Kammern im Heck naturgemäß knapp aus. Sperrige Dinge wie Blister mit Trichter nimmt der Segelstauraum zwischen Vorschiffskabine und Ankerkasten auf. Letzterer verfügt übrigens oben über keinen Deckel, die Kette läuft über die Kettennuss durch ein Loch ins Schill", lässt sich aber durch ein Luk im Segelstauraum klarieren.

Auffallig an Deck sind die wenigen und konzentriert montierten Beschläge. Sämtliche Fallen und Schoten werden in Kanälen auf die beiden achteren Winschen geführt und mit zehn Hebelklemmen organisiert. Winschen und Stopper sind von den Rädern aus erreichbar. Überschüssiges Leinenmaterial, potenzielle Quelle für großen Nerv bei diesen Arrangements in Steuermannsnähe, wird in Staukästen weggeleitet. Mit den beiden selbstholenden Lewmar-Winschen in der Größe 50 lassen sich beide weiße Segel gut managen. Das Rigg ist im Standard mit der hansetypischen Selbstwendefock versehen, Groß- und Vorschot sind auf zwei Seiten verteilt. Wobei sich die vor dem Nieder- gang angreifende Großschot sinnvollerweise auch auf beide Seiten führen lässt.

Weitere Winschen, etwa für Genua, Gennaker oder Code Zero (empfehlenswerte Ergänzungen zur kleinen Selbstwendefock), sind als Option erhältlich. In der Basisversion bleibt das Cockpit nackt und frei, der Bereich neben dem Niedergang, üblicherweise Fallen und Stoppern vorbehalten, wurde für hochwillkommene Staufächer mit Deckeln genutzt.

Das Cockpit wird durch einen großen Tisch mit zwei seitlichen Klappen und robusten Handläufen geteilt, gegen Aufpreis lässt sich ein kleiner Kühlschrank ordern. Plotter und Geräte werden in Podesten eingebaut, die Bestandteile der Steuersäulen sind und auch große Griffe aufnehmen.

Hanse 455: Mehr Tuch, mehr Luken

Das Layout und die ergonomischen Gegebenheiten funktionieren, wie sich beim Test vor Cannes zeigte. Wo jedoch der Wind schwächelte - mehr als sechs bis maximal acht Knoten waren nicht zu finden. Aber: Bei diesen Bedingungen beginnt das Boot bereits zu leben, macht Vorfreude auf mehr.

Tatsächlich haben die Konstrukteure Ludel/Vrolijk & Co neben Rumpf und Cockpitgestaltung auch den Segelplan angefasst. Das Boot erhielt sieben Quadratmeter mehr Tuch als die 445. In der Segeltragezahl bewirkt das lediglich eine zarte Nachkommastelle, auf dem Wasser scheint es zumindest subjektiv mehr zu sein.

Das Zweisalings-Fraktionalrigg von Seiden lässt sich mit einem Kurbelspanner am Achterstag unter mehr Zug setzen. Die auf dem Testboot angeschlagenen triradial geschnittenen Segel von Elvstrom, dabei das Groß mit fünf durchgehenden Latten, standen ordentlich, soweit sich dies bei Schwachwind beurteilen ließ.

Was unterwegs noch auffallt: Das Deck ist wunderbar aufgeräumt, fast schon schier, und freizügig gestaltet. Große Flächen eignen sich zum Liegen vor Anker und im Hafen. So wird denn auch ein stattliches Doppelpolster für den Aufbau vor dem Mast angeboten (1700 Euro). Und es gibt reichlich Luken, allein für Salon und Pantry sind es fünf. In der Vorschiffskabine sind zwei vorgesehen, jede Nasszelle ist zu belüften, und selbst die Achterkammern verfügen über je eine waagerechte Klappe und dazu Cockpitfenster.

Was sich an Deck verbessern ließe, sind die Handläufe: Die sind zu kurz (s. Foto rechts oben), um sich auf dem Weg bis zum Mast effektiv festhalten zu können.

Der Niedergang mit fünf Stufen ist gut begehbar, weil nicht steil, und mit senkrechten Griffstangen ausgestattet. Empfangen wird der Besucher von viel Licht durch besagte Luken, große Rumpffenster, deren Effekte durch Spiegel verstärkt werden, sowie durch den weißen Himmel und die hellen Einbauten. Der Ausbau auf dem Testschiff war mit Furnieren der Sorte „Italienische Liche" ausgeführt, ein Aufpreis von 4200 Euro. Standard ist „Mahagony-Stil". Und „Amerikanische Kirsche" gibt es noch. Beide sind auch hochglänzend zu haben.

Die weiteren Wahlmöglichkeiten für die Hanse 455 sind nach wie vor werfttypisch groß: Im Vorschiff sind ein oder zwei Kabinen möglich, und der Salon ist gegenüber der großen U-förmigen Sitzecke mit Längssola oder Dinette zu haben. Im Heck bleibt's jedoch erstmal bei zwei Kammern, eine Alternative ist derzeit nicht vorgesehen.

Besonders und gut: In jedem Fall sind im Vorschiff WC/Waschraum und Dusche als einzelne Räume ausgeführt.

Bei der Inspektionsrunde durchs Boot fällt im Vorschiff ein knarzender Fußboden auf, und die Ablagen neben den Kojen erweisen sich als zu flach,
um beispielsweise Bücher stehend im Seegang zu halten. Und die
Koje ist mit einer Schulterbreite von 1,40 Meter
recht knapp, dafür als
Inselbett einfach zu beklettern. Im Salon öffnen die besagten vier Luken nur nach achtern, besser wäre, wenn zwei auch Luft von vorn ins Innere schaufeln könnten, vor Anker beispielsweise. Am Salontisch finden sechs Personen bequem Platz. Die klappenlose Fläche lässt sich optional zum Absenken ordern, es entstünde dann mit Zusatzpolstern eine weitere Koje, 2,35 mal 1,45 Meter groß.

Hanse 455: Pantry groß, Navigation klein

Auch die Bordküche weist Gardemaße auf, bietet volle Stehhöhe (1,94 Meter), reichlich Arbeitsfläche (insgesamt etwa 2,50 mal 0,46 Meter), einen dreiflammigen Ofenkocher, genug Stauraum oben und unten sowie einen von oben und von vorn zugänglichen Kühlschrank. Die Arbeitsfläche ist im Standard schwarz, die cremefarbenweiße eine Option. Und trotz ihrer Größe drängt sich die Pantry nicht überdominant ins Geschehen unter Deck, sondern duckt sich neben den Niedergang.

Etwas knapp, aber heutigen Gepflogenheiten angemessen fällt die Navigation aus. Dort sitzt man quer zur Fahrtrichtung auf einem Klapphocker am 60 mal 68 Zentimeter großen Tisch, das passt für Sportbootkarten. Der Platz für Einbaugeräte ist recht begrenzt.

Die an den Salon grenzende Nasszelle bietet zwar eher wenig Stauraum, aber genug Platz für eine per Trennwand separierbare Dusche mit Stehhöhe von 1,94 Metern. Die fast identischen Achterkammern verfügen über lange (2,06 Meter) und breite (1,65 Meter) Kojen, dazu Rumpffenster, Stehhöhe (1,95 Meter). Sie sind durch eine doppelte Mittelwand voneinander getrennt, die teilweise als Stauraum genutzt wurde. Daneben sind Schränke und Schapps vorhanden. Die überfurnierte Innenseite des Rumpfes wurde jedoch nicht genutzt. Auf dem Testschiff waren die optionalen, 14 Zentimeter dicken Luxus-Matratzen mit Federkern aufgelegt. Die kosten für alle Kojen 2700 Furo extra, was als ein gutes Investment erscheint. Sie sind längsgeteilt, was das Handling erleichtert, beispielsweise, wenn die darunter liegenden Tanks erreicht werden sollen.

Hanse 455: Viele Optionen

Neben den Layouts, Möbelfurnieren und Arbeitsflächen lassen sich weitere Dinge wählen, um das Schiff zu individualisieren. Als Bodenbelag ist im Standard helles Akazienimitat vorgesehen. Dunkelbraune Ober oder klassisch gestreifte Bodenbretter sind die Alternativen. Dazu kommen drei Kielvarianten und auf Wunsch eine größere Motorisierung: Statt 55 sind es dann 75 PS.

Alles Dinge, die die Preise hochtreiben. In der Grundversion kommt das Boot für günstige 202 200 Euro. Wer nun seinem Geschmack und Anspruch freien Lauf lässt und, sagen wir mal, einen farbigen Rumpf wünscht, dazu einen flacheren Kiel, vorn zwei Kabinen, alles ausgebaut in hochglänzender Kirsche, dazu Lederpolster, das große Performance-Paket, Membransegel, Teak auf dem Kajütdach und Seitendeck, den größeren Motor und Bug- sowie Heckstrahler, der zahlt nochmal rund 100 000 Euro obendrauf oder auch 50 Prozent dazu.

Andererseits: Die Werft offeriert gerade pralle Pakete mit gutem Rabatt; bis Ende Oktober gibt es auf Ausrüstungskombinationen 75 Prozent Preisnachlass, bis Januar sind es immer noch 50 Prozent - was sich freilich nur lohnt, wenn die enthaltene Ausrüstung gewünscht wird. Individualisierung und Paketierung machen Preisvergleiche mit anderen Schiffen schwierig.

Hanse 455: Gute Auswahl, viel Wettbewerb

Als Konkurrenzyachten kommt etwa eine Sun Odyssey 469 von leanneau in Frage, sie startet bei 246 000 Furo. Günstiger ist die Bavaria Cruiser 46 (Basispreis 196 200 Euro). Wäre noch Dufours 450 Grand'Large zu erwähnen (227 000 Euro) sowie die Oceanis 45 (227 000 Euro) – alles vergleichbare moderne Konstruktionen aus dem Großserienbau, von renommierten Desigern gezeichnet und im Rahmen industrialisierter Verfahren hergestellt. Will sagen: Perfekter Bootsbau geht anders, kostet aber auch so. Insofern: Die Hanse 455 ist ein Schiff mit viel seglerischem Potenzial und Linien, die Menschen mit modernem, ästhetischem Empfinden mögen werden, und einem durchdachten und funktionierenden Deckslayout. Dazu das gefällige und praxisgerechte Interieur und diverse Wahlmöglichkeiten, die fast alles abdecken.

Wer ein Boot dieser Liga sucht, muss sich die Hanse ansehen. Und wer ohnehin auf gute Performance schielt, sollte noch die Dehler 46 (Test: YACHT 22/14) anschauen. Die bietet zwar weniger Platz, ist aber nicht nur sportiver, sondern auch seglerisch ausgefeilter und stammt sogar aus demselben Stall.

Hier finden Sie eine Übersicht von Testberichten zu allen Yachten

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