Der hier veröffentlichte Text ist dem vollständigen Yachttest der Zeitschrift "Yacht" entnommen. Sie können die PDF-Datei mit dem vollständigen Artikel downloaden. Dieser Artikel enthält aussagekräftige Bilder, detaillierte Diagramme, Vergleiche zu anderen Yachten sowie präzise technische Angaben. Autor: Fridtjof Gunkel, Heft 8/2012

yacht - Yachttest von Europas größtem Segelmagazin

Yachttest der Hanse 415

Hanse 415: Yachttest

Das Entwicklerteam von Hanseyachts stand vor einer schweren Aufgabe. Die direkte Konkurrenz der Großserienhersteller dies- und jenseits des Rheins von Bavaria, Dufour, Jeanneau und Beneteau haben seit Ende 2009 jeweils ihren umsatzstarken Typen in der Zwölf-Meter-Größe neu herausgebracht. Und dabei attraktive, teils innovative und auch international sehr anerkannte Boote definiert. So siegte erst die Dufour 405 Grand’Large bei der Wahl zu Europas Yacht des Jahres in der Königsklasse der Fahrtenyachten, dann im vergangenen Jahr Jeanneaus Sun Odyssey 409.
 Und weiterhin galt es für die Macher aus Greifswald, das eigene Modell, die Hanse 400, zu erneuern, die ihrerseits 2006 den Europa-Titel errang und immerhin rund 750 Mal gebaut wurde.

Hanse 415: Von allem etwas

Mit dem neuen Schiff zielt Hanseyachts nach eigener Aussage auf eine große Käufergruppe: Bestandskunden, Wechselwillige von der Konkurrenz, Einsteiger, ältere Eigner, Paare mit jugendlichen Kindern, Vercharterer. An deren Ansprüchen muss sich das Schiff messen lassen. Die Vorgabe der Werft an die Konstrukteure von Judel/Vrolijk & Co und an das eigene Entwicklerteam: eine schnelle Yacht mit gelungenen Details zu entwerfen, die mehr Komfort, bessere Ergonomie, viel Platz und gute Funktionalität bietet.

Nix Neues, das wollen sie alle. Der Weg: Fast senkrechte Rumpfenden sorgen gegenüber der gleichlangen Hanse 400 für eine um 60 Zentimeter längere Wasserlinie. Die Breite vergrößerten sie um gerade mal 13 Zentimeter, aber das Heck wuchs viel stärker, schnürt fast nicht mehr ein. Die Maßnahmen sollen für rund zehn Prozent mehr Raum unter Deck sorgen. Gewachsen ist im Vergleich auch das U-Sofa, der Salontisch, die Haupt-Nasszelle und das Cockpit. Das Schiff wurde jedoch auch etwas schwerer und trägt etwas weniger Tuch. Dafür wurde es mit mehr Breite, tieferem (Standard-) Kiel und höherem Ballastanteil theoretisch ein wenig steifer.

Auch in der Praxis, wie sich schon nach den ersten gesegelten Metern herausstellt. Die Bucht von Palma macht das, wofür sie bekannt ist: verlässliche und gute Segelbedingungen anbieten. Zwischen 16 und 18 Knoten aus Südwest sind prima. Das Boot zeigt sich steif, auch in den Böen lässt es sich noch beherrschen, läuft noch nicht aus dem Ruder. Wir provozieren testweise eine Krängung von bis zu 35 Grad, ein Wert, den jede Crew durch Reffen zu vermeiden versuchen würde, und dennoch bleibt das Boot unter Kontrolle. Das schafft ebenso viel Vertrauen, wie die Segelleistung insgesamt erfreut.

Um die 7 Knoten sind am Wind bei kleinem Wendewinkel von knapp 90 Grad drin, raumschots geht es heute auch ohne buntes Tuch schnell auf die 8, 9 Knoten zu. Ebenso wichtig: Das Steuern macht schlichtweg Spaß. Die doppelten Räder sind mit ein-dreiviertel Umdrehungen moderat untersetzt, arbeiten direkt genug. Die Ergonomie stimmt ebenfalls. Der Rudergänger sitzt oder steht entspannt hinter den Rädern oder seitlich von ihnen.

Auf der Hanse 415 hat die Werft wieder im Deck eingeformte Steuermannssitze vorgesehen; das Heck ist also nicht völlig offen, wenn die Badeplattform abgelassen wird. Der Steuermann registriert, dass die Hahnepot des Achterstags nicht stört und genießt eine gute Übersicht auf Wind, Wellen und Windfäden, wenn auch nicht auf den Kompass. Der ist achtern in den großen Cockpit- tisch gesenkt und liegt dort im völlig falschen Blickwinkel. An dieser Stelle taugt er nur zum Überprüfen des Kurses und nicht zum dauerhaften Steuern – eine Nutzung, die der heutzutage gängigen Praxis entspricht.

Hanse 415: Einhandtauglicher geht nicht

Wichtiges Merkmal der Hanse 415 ist die Bedienung: Das Schiff ist perfekt einhandtauglich. Die beiden Primärwinschen sitzen achtern in direkter Griffweite des Rudergängers. Dort laufen sämtliche Schoten, Strecker und auch die durch Spinlock-Hebelklemmen geführten Fallen zusammen. Der Steuermann kann also auch die Segel setzen, reffen und bergen. Prima. Das überschüssige Leinenmaterial verschwindet in zwei Staukästen im Süll, was einigermaßen funktioniert. Etwas Leinensalat ist zuweilen nicht vermeidbar.

Beim Wenden hat auch der Rudergänger nichts zu tun: Im Standard ist eine Selbst- wendefock dabei. Ein größeres Vorsegel lässt sich realisieren, optionale Schienen auf dem Kajütdach erlauben eine 106-prozentige Fock. Mehr geht nicht: Die Wanten sitzen auch auf der Hanse 415 außen auf der Kante, was ein leichteres Mastprofil und eine simplere Einleitung der Riggkräfte in den Rumpf erlaubt.

Die Großschot arbeitet ohne Traveller als 1:4-Talje auf dem Kajütdach mit den Enden beidseits auf die achteren Winschen geführt. Das ist fein, so lässt sich die Großschot auf beiden Seiten bedienen und auch mal schnell losgeben, wenn mit Druck im Schiff plötzlich abgefallen werden soll. Das System ist kundenseitig einfach auf zwei separate Taljen umriggbar, womit Ersatz für den nicht lieferbaren Traveller vorhanden wäre. Die mittlerweile obligatorische Badeplattform klappt gasfederunterstützt und ohne Elektrik. Das GFK-Teil öffnet den Stauraum für eine große Rettungsinsel, die so schnell und gut zu erreichen ist.

Insgesamt gefällt das Cockpit in seiner Großzügigkeit und Dimensionierung. Die Duchten sind immerhin 1,72 Meter lang, der fest installierte Tisch mit zwei klappbaren Hälften und formschönen Griffen hochsolide und zum Abstützen auch unter Segeln funktional. Die nach achtern laufenden Fallen schaffen eine neue freie Nutzfläche beidseits des Niedergangs. Hier hat die Werft hochwillkommene Decksluken für die Achterkammern eingebaut und gut nutzbare Stauflächen durch Becherhalter und zwei Klappen geschaffen.

Hanse 415: Besser rein und raus

Auch der Niedergang selbst zeigt sich komfortabel. Das Steckschott ist teleskopierbar, bleibt also auch in offenem Zustand an Ort und Stelle. Die Treppe ragt lang und flach ins Schiff, ist somit bequem begehbar, wozu die großen fünf Stufen beitragen.

Innen die große Wahl: Vorschiff mit oder ohne eigene Nasszelle? Salon mit großer oder übergroßer Pantry? Eine Achterkabine und eine Backskiste oder zwei Achterkabinen? Oder eine Achterkabine, eine Backskiste und ein Werkraum? Das Wählen geht weiter: drei Hölzer in der Anmutung von Mahagoni, Kirsche oder Teak für die Möbel, helle, dunkle oder klassisch gestreifte Bodenbretter und rund 30 (!) Polsterbezüge.

Was ungeachtet der vielen Entscheidungen bleibt: Das Boot wirkt unter Deck hell, aber nicht kühl, modern, aber nicht modernistisch, reduziert, aber nicht nackt. Was zugegebenermaßen eine subjektive Betrachtung ist. Jeden erfreuen werden dagegen gelungene Besonderheiten, die das Bordleben komfortabler gestalten. Der Salontisch ist so groß, dass er auch von den beiden Sesseln an Backbord aus erreichbar ist, wenn er voll ausgeklappt wurde. Zwischen den Sesseln ist ein weiterer Tisch installiert, der in der Höhe verstellt werden kann. Heruntergefahren ergibt sich in Kombination mit einem Einlegepolster und den beiden Sitzflächen eine stattliche Einzelkoje. Hochgestellt dient der Zweittisch zum Navigieren oder als Schreibecke.

Und in der Achterkabine lässt sich ein Kojenteil so aufstellen, dass aus dem Bett ein Sofa wird, falls sich mal jemand zurückziehen, aber nicht gleich hinlegen will.

Zu mehr Gemütlichkeit trägt auch das Beleuchtungskonzept bei, besonders im Salon. Neben dem natürlichen Licht aus drei Decksluken, vier zu öffnenden Aufbaufenstern und einem Rumpffenster sorgen Leselampen, Deckenspots und indirekte Beleuchtungen an der Innenschale des Himmels sowie im Fußraum für die individuell gewünschte Atmosphäre. Die lässt sich zu dem optional mit einem Bus-System zentral schalten, steuern und durchmischen.

So ist es denn die Summe an gelungenen Details, an praktischen Lösungen, die das Schiff wertig machen. Die schräge Deckskante lässt die Hanse 415 flacher wirken und schafft nebenbei einen guten Klebeflansch für die Verbindung zum Rumpf. Oder etwas profaner das Beispiel der Kleiderschränke: Die lassen sich gut für Bügelware nutzen, die man in das darunter liegende Fach hineinhängen kann, weil es dort keinen Deckel gibt. Alternativ ist das Schapp wie üblich in der Tiefe zu nutzen. In der schönen Pantry begeistern großes und kleines Waschbecken, Schwammschapp, Spritzschutz und der von oben wie auch von der Seite ent- und beladbare Kühlschrank mit 130 Liter Volumen.

Hanse 415: Duschen mit Seeblick

Die Nasszelle bietet eine abgetrennte Dusche und ein Rumpffenster im Schiebetürschrank. Das ist zwar mehr der optischen Symmetrie geschuldet, birgt aber einen netten Spin-off: freier Blick auf die Ankerbucht beim Duschen – wer hat das schon? Auch die allgemeinen Körpermaße gefallen. Die Stehhöhen sind großzügig bemessen, die Kojen bequem, die Fußräume überall reichlich, alles fein.

Natürlich gibt es Defizite oder Kehrseiten. Wer den Dreikabiner wählt, hat nur wenig Stauraum in den beiden flachen Backskisten. Fahrräder, Gennaker oder das eingepackte Schlauchboot werden woanders unterkommen müssen. Die Ablagen im Vorschiff beispielsweise wirken schön leicht, sind aber bei Schräglage kaum nutzbar.

Der Salontisch ist zwar ausgeklappt erfreulich groß, bedingt aber eben auch eine Kletterpartie, wenn man an den Flanken vorbei will. Weiter wundert es, dass die Handläufe nur die achtere Hälfte des Kajütdachs abdecken. Und wie auf fast jedem anderen Großserienboot auch lassen sich bei genauerem Hinsehen Ecken finden, die einfach unschön sind, unsaubere Schnittkanten, Stöße oder Fugen etwa.

Dinge, die oftmals dem schnellen Takt am Band und damit den Kosten geschuldet sind. Der Grundpreis ab Werft beläuft sich auf knapp 150 000 Euro, nur etwa 3000 mehr, als die Bavaria 40 kostet und deutlich unter den Preisen für die Alternativen aus Frankreich (s. S. 69).

Insgesamt: Die Hanse 415 segelt schnell und hoch, und diese Eigenschaften lassen sich leicht abrufen. Ebenso verzeiht das Boot übergroße Krängung, beispielsweise infolge eines Bedienungsfehlers, und es ist in allen Situationen einhandtauglich. Damit ist die Forderung nach einfacher Handhabung auch durch Einsteiger oder kleine Crews sehr gut erfüllt. Der Komfort an und unter Deck ist durch die Dimensionierungen und die Details, durch die Belüftung, die Beleuchtung und den Stauraum sehr hoch. Der Individualisierungsgrad sucht seinesgleichen.

Die Bausubstanz ist trotz findbarer kleiner Mängel gut; ein solider einlaminierter GFK-Rahmen nimmt die Kräfte von Rigg und Rumpf auf, und die erste Laminatlage ist mit dem höherwertigen Vinylesterharz ausgeführt, was für guten Osmoseschutz und höhere Temperaturbeständigkeit steht. Deck und Rumpf sind durch das Balsa-Sandwich nicht nur fest, sondern auch thermisch und akkustisch besser isoliert als ein Volllaminat. Und der Preis stimmt.

Insofern ist die neue Hanse 415 eines der besten Serienschiffe ihrer Klasse – wenn nicht gar das Beste.

 

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