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Hier geht es zum kostenpflichtigen Download (3,-€, Autor: Jochen Rieker , Heft 20/2007):  > Yachttest der Hanse 320

 
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Yachttest der Hanse 320 Performance

Die Hanse 320: Neuentwicklung aus Greifswald

Zehn Zentimeter. Ein Handy ist etwa so groß, ein Taschenmesser, der Griff einer Winschkurbel. Um so viel ist ihr Rumpf in die Länge gewachsen. 10 Zentimeter mehr misst er auch in der Breite. 5 Zentimeter höher ragt der Mast übers Meer. Und um ein Zehntel wuchs ihre Segeltragezahl. So viel trennt die jüngste und kleinste Yacht von Hanse, die 320, vom bisherigen Basismodell Hanse 315. Oder muss es heißen: so wenig? Wie auch immer man es sehen mag: Groß wirken die Unterschiede nicht. Macht man sie nur an Kennzahlen fest, erscheinen sie unbedeutend, fast ernüchternd.

 

Hanse 320: Die Positionierung

Ein bisschen höher, breiter, weiter. Ist das genug in einem Marktsegment, das so stark umkämpft ist wie die 10-Meter- Klasse (Sun Odyssey 30i, Oceanis 31, Bavaria 31 cruiser,Bavaria 32 cruiser)? Und ist es genug für die jüngste Neuentwicklung einer Werft, die sich als Trendsetter versteht? Die auch unter Experten als Innovationsmotor gilt, als Inbegriff der Erneuerung in einer traditionell eher bodenständigen als experimentierfreudigen Branche?Tatsache ist: Die Hanse 320 wird es nicht einfach haben. Einerseits unterliegt sie, mehr als ihre größeren Schwestern, engen Grenzen - technisch, räumlich, finanziell. Kaum irgendwo wird so verbissen um Zentimeter gerungen, um die Einhaltung von Produktionszeiten und Materialkosten wie im Bereich um 32 Fuß. Andererseits muss das Boot einem hohen Erwartungsdruck standhalten.

Neuentwicklungen aus Greifswald waren in der Vergangenheit regelmäßig für Überraschungen gut. Die ersten Großserienboote in Epoxidbauweise - eine Hanse-Entwicklung.Die umfangreichsten Wahlmöglichkeiten bei der Innenraumgestaltung - mittlerweile ein Markenzeichen der ostdeutschen Werft. Mit die breiteste Modellpalette - von zehn bis fast 20 Meter Rumpflänge. Das modernste, manche würden sagen mutigste Design unter Deck. Keine Frage: Die Werft - gelebt, geleitet, getrieben wie kaum eine zweite von ihrem Gründer und Vorstandschef Michael Schmidt - vereint viele Alleinstellungsmerkmale auf sich. Aber kann sie all das auch umsetzen in einer Yacht, die sich nur in großen Stückzahlen rechnet, die ganz unterschiedliche Eigner ansprechen muss und deren Konstruktion weniger Spielraum lässt als alle anderen der Flotte?

 

Hanse 320: Das Design

Von außen betrachtet suggeriert die neue Hanse jedenfalls schon einmal Entschlossenheit. Nie zuvor wirkte der Wechsel von einem Modell auf das andere so grundlegend, fast abrupt. Zwischen der Hanse 315 und der Hanse 320 zogen die Konstrukteure und Stylisten von Jude Wrolijk und Co, die seit bald zehn Jahren alle Yachten der Werft zeichnen, regelrecht einen Strich. Bis vor kurzem waren die Boote aus Greifswald noch an Entwürfe der US-Ostküste angelehnt; mit markantem Kajütaufbau, kleinen Fenstern und einer charakteristischen Teakleiste darüber zitierten sie zeitlos-klassische Elemente des Yachtbaus. Unter Deck viel dunkel gebeiztes Holz und Türfüllungen, die an Peddigrohrgeflecht erinnerten. Davon ist die Hanse 320 meilenweit entfernt. Sie folgt dem Design der Topmodelle 470, 540 und 630, mit denen Hanse vor einem Jahr im gehobenen Segment bereits einen Stilwechsel eingeleitet hatte.

Statt der eher organischen, manchmal fast knuffigen Formen ihrer Vorgängerin ist sie geprägt von architektonischer Strenge, einem geschickten Wechselspiel von Flächen und Kanten. Bündig in den Aufbau integrierte Luken, lange, fast schwarz getönte Seitenfenster, bewusst gestaltete Sicken und Rezesse im Kajütdach verleihen ihr eine ebenso markante wie moderne Erscheinung. Damit schafft die Werft eine große visuelle Nähe zur eigenen S-Klasse, eine Art Familienähnlichkeit, die sich jetzt von der Hanse 370 bis über die Hanse 400 zur Hanse 430 erstreckt. Wie gut der Entwurf wirklich ist, wird sich dabei wohl erst in einigen Jahren zeigen. Dann muss sich erweisen, ob die Linien optisch so lange Bestand haben werden wie die der eher retro-orientierten Boote aus den ersten beiden Generationen. Diese, die dritte, ist zweifellos mutiger gestaltet und besitzt am Markt daher große Eigenständigkeit. Allerdings wirkt die Hanse 320 nicht aus allen Perspektiven und in jedem Licht so schick wie bei Lage unter Segeln.

Trotz zahlreicher stilistischer Kunstgriffe kann am Steg nichts darüber hinwegtäuschen, dass sie für ein Boot von 9,55 Meter Länge recht breit und hochbordig geraten, dass der Aufbau bis weit an die Rumpfkante hinaus gezogen ist. Das weiß auch Konstrukteur Torsten Conradi. "Boote dieser Größe sind schwierig zu entwerfen, weil man überall an Grenzen stößt", sagt er. Letzten Endes gehe es deshalb immer darum, eine "Balance zwischen Ästhetik und Volumenanforderungen" zu finden. Dem aktuellen Trend folgend, verjüngt sich die neue Hanse achtern kaum. Eine Rumpfgeometrie, die am Wind theoretisch Nachteile mit sich bringt, aber enorm viel Platz schafft. Unter Deck profitieren vor allem Achterkammer, Nasszelle und begehbare Backskiste von den Linien.Hanse 320 an Deck im Yachttest

Die Hanse 320 ermöglichen sie eine Plicht, wie sie vor zehn Jahren noch 40- Fuß-Yachten zur Ehre gereicht hätte. Vier Personen finden reichlich Platz, sechs werden sich im Cockpit nie beengt fühlen. Das schätzen nicht nur Mittelmeersegler, die sich im Hafen oder vor Anker selten unter Deck aufhalten. Selbst Eigner in nördlicheren Revieren verzeichnen dadurch einen erheblichen Raumgewinn, weil sie die Plicht mittels Kuchenbude zu einem zweiten Salon umfunktionieren können.

Und auch der Rudergänger findet einen nahezu perfekten Arbeitsplatz an Bord der Hanse 320 vor. In den Boden eingeformte GFK-Höcker bieten sicheren Stand bei Lage und die abgeflachten Sülls einen bequemen Platz in Luv oder Lee. Die Radsteuerung ist so gut ins Layout integriert, dass selbst Pinnen- Anhänger ernsthaft überlegen sollten, das mit 1430 Euro günstige Extra zu ordern. Die Anlage stammt von Jefa, einer ersten Adresse in Sachen Steuersysteme; sie arbeitet mit Schubstangen, ist deshalb spielfrei, wartungsarm und spricht außerordentlich präzise an. Zwar hat das Laufdeck achtern nur noch optische Funktion, so weit ragt das Süll bis an die Aluminium-Fußleiste heran. Doch das ist das einzige ernsthafte Manko der insgesamt sehr gelungenen Cockpitgestaltung. Hier wie im ganzen Entwurf der 320 dominieren klare geometrische Formen, die den Eindruck von Aufgeräumtheit und Struktur vermitteln. Hier geht es auch nicht mehr nur um zehn Zentimeter Differenz.

Durch die gegenüber dem Vorgängermodell größere Breite, aber vor allem durch die achtern geänderte, ausladende Rumpfform verfügt die neue Hanse in der Plicht über weit mehr nutzbare Grundfläche. Ein Plus, das die Designer gezielt nutzten. Wo andere Boote dieser Größe leicht verschachtelt oder verbaut wirken, überzeugt die Hanse mit Klarheit und Funktionalität.

 

Hanse 320: Auf See

Das macht sich auch auf See positiv bemerkbar. Das schnörkellose Cockpit- Layout reduziert in Verbindung mit dem bedienungsfreundlichen Segelplan die Eingewöhnungsphase auf ein Minimum. Selbst weniger routinierte Crewmitglieder kommen auf Anhieb mit der Hanse 320 zurecht. Groß heißen, Selbstwendefock ausrollen, Schoten einstellen - und los.

Beim Test vor Kopenhagen Ende August herrschten zwei Tage lang ideale Bedingungen. Es wehte ein kräftiger Südostwind von 4 bis 5, in Böen bis 6 Beaufort, der eine kurze, steile Welle aufwarf. Die Hanse konnte dabei flach getrimmt eben noch Vollzeug tragen, bewegte sich aber bisweilen schon jenseits der Reffgrenze. Am Wind schob sie mit gut 25 Grad Lage durch die kabbelige Ostsee. Dabei benahm sie sich erstaunlich gutmütig, um nicht zu sagen unbeeindruckt: der Ruderdruck spürbar, aber nicht anstrengend, die Schiffsbewegungen merklich, aber nicht hart oderunberechenbar.

 

Hanse 320: Unter Segeln

Erstaunlich auch, wie trocken das Boot segelte. Trotz der eher rauen Bedingungen kam nur vereinzelt Spray bis ins Cockpit. So vermittelte die Hanse einmal mehr den Eindruck, auf einer größeren Yacht unterwegs zu sein. Die Konstrukteure von Judel Nrolijk legten bei der Entwicklung großen Wert auf eine gleichmäßige Gewichts- und Schwerpunktverteilung. Sie rückten den Mast etwas nach achtern, stimmten die Flächen von Groß und Fock neu aufeinander ab und ließen einen in dieser Klasse bisher unüblichen T-Kiel unterbolzen.

Das Ergebnis ist spürbar: Die Hanse 320 verhält sich ungemein ausgewogen, versammelt und konzentriert. Auch die Messwerte überzeugen. Trotz Festpropeller und Standardbesegelung marschierte die Hanse in der Spitze mit knapp über 6 Knoten am Wind bei Wendewinkeln von 85 bis 90 Grad.Halbwinds kam sie nahe an ihre Rumpfgeschwindigkeit heran. Damit muss sie im Segment der Fahrtenschiffe um 32 Fuß kaum Gegner fürchten.

Nur bei raumen Kursen wird sie es schwerer haben, weil dann die schmale, hoch-geschnittene S-Fock in die Abdeckung des Groß gerät und nicht mehr richtig zieht - ein Nachteil, der aber durch die mühelosen Kreuzeigenschaften aufgewogen wird. Statt von innen, wie immer mehr Yachten heutzutage, definiert sich die Hanse 320 gerade übers Segeln. Und wie sieht es unter Deck aus?

 

Hanse 320: Unter Deck

Das überrascht nach dem Innovationsfeuerwerk, das Michael Schmidt in den vergangenen Jahren abgebrannt hat. Aber es ist nur konsequent. "Unsere Schiffe sollen in erster Linie funktionieren", sagt der Werftchef. Der YACHT stand für den ersten Test einVorserienmodell zur Verfügung, dessen Interieur nicht in allen Punkten dem aktuellen Stand entspricht. Deshalb ist eine abschließende Bewertung hier nicht möglich. Der Kartentisch etwa soll einem praktischen Schrank weichen, zusätzliche Einbauten dem Innenraum die Leere und Kühle nehmen.

 

Hanse 320: Das Fazit

Ähnlich modern wie von außen, genauso geradlinig, und dabei erfreulich unverbaut. Anstelle von Designexperimenten finden sich viele bewährte Lösungen. Wer von der Hanse 320 die Neuerfindung des Fahrtenboots erwartet hat, könnte das als zu wenig empfinden. Aber das wäre unfair. Die Spielräume sind eng in dieser Klasse - zumal bei einem Boot, das zu den günstigsten am Markt zählt. Und meist ist Evolution ja ohnehin besser als Revolution.

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