Der hier veröffentlichte Text ist dem vollständigen Yachttest der Zeitschrift "Yacht" entnommen. Sie können die PDF-Datei mit dem vollständigen Artikel downloaden. Dieser Artikel enthält aussagekräftige Bilder, detaillierte Diagramme, Vergleiche zu anderen Yachten sowie präzise technische Angaben. (Autor: Jochen Rieker, Heft 10/2010)

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Yachttest der Sirius 35DS

Sirius 35DS: Ein kompromissloses komfortables Fahrtenboot

Sie sind ein Extra. Und kein kleines. Das Stück kostet 1185 Euro. An einer Deckssalonyacht gab es so etwas bisher nicht, jedenfalls nicht in der Zahl und Form. Schon gar nicht an einer Sirius. Die Boote der kleinen Yachtmanufaktur gleichen Namens, unweit von Kiel am Plöner See gebaut, fielen noch nie durch Zeitgeist-Elemente auf. Das erfolgreichste Modell, die 32 DS, ziert bis heute ein schmaler Heckspiegel in Nierentischform; der Kajütaufbau ist aus Holz getischlert – Relikte einer vergangenen Bootsbau-Epoche.

Jetzt dagegen Anleihen aus dem Superyachtsegment: drei quadratische Rumpffenster mittschiffs, zwei flache rechteckige davor und dahinter; schwarz verspiegelt wie auf einer Wally oder einer Swan. Die ganze Backbordseite der neuen Sirius 35DS wird von den Scheiben dominiert. Oder soll man sagen: zerklüftet? Auf den ersten Blick wirken sie irritierend. Auch Torsten Schmidt werden sie Überwindung gekostet haben. Wohl deshalb gehören sie nicht zur Standardausstattung. Und vermutlich hat der Chef der Sirius-Werft die Fenster aus diesem Grund auch erstmal einem unorthodoxen Härtetest unterzogen. Der ging so:

Lars Eikermann, der anerkannt kräftigste Kerl unter den 46 Plöner Bootsbauern, ein hantelgestählter Hüne, legte eine der 15 Millimeter starken Polycarbonatscheiben auf seine Werkbank, nahm eine Axt von amtlichen 1,20 Meter Länge und legte die ganze Macht seiner eigenen muskelbepackten 2,05 Meter hinein. Krachend traf die scharfe Schneide auf das Material, das 200-mal schlagfester ist als Glas und fast dreimal so dick wie bei Einsatzfahrzeugen der Bereitschaftspolizei. Der Hieb beendete jede auch noch so leise Skepsis im Zusammenhang mit den erstmals bei Sirius verbauten Rumpffenstern. Maximale Eindringtiefe der Axt: 1,5 Millimeter. Technisch war damit alles klar. Aber wie würden potenzielle Eigner die ungewohnte Optik annehmen? Den neuen, fast muss man sagen: modischen Ansatz? Wie sehr prägen diese Scheiben das Boot – von außen wie von innen? Und wie vertragen sie sich mit dem Rest der Konstruktion, die das Deckssalonkonzept in das 21. Jahrhundert überführen soll?

Sirius 35DS: Sinnig und Sicher

Am Wochenende vor Ostern, zu einer Zeit, als die Stege an der Ostsee noch fast völlig leer sind, haben wir zwei Tage Zeit, die Sirius 35DS weltexklusiv zu testen. Es ist nicht der erste Kontakt mit der 10,60 Meter langen Neuheit. Torsten Schmidt hatte schon ein Jahr zuvor Skizzen gemailt; hatte verschiedene Varianten der Deckshausgestaltung gezeigt und auch Eigner in die Entwicklung einbezogen, die er auf der Homepage dokumentierte. Dann die Messepremiere im Januar auf der boot in Düsseldorf:

Die Baunummer 1, die jetzt aufgeriggt in der Ancora-Marina von Neustadt liegt, stand ebenerdig da, ohne Kiel – ein Publikumsmagnet, nicht zuletzt der drei Rumpffenster wegen, durch die Besucher vom Gang aus direkt in die unter dem Deckssalon gelegene Eignerkammer schauen konnten. Das machte neugierig. Und sorgte für eine ermutigende Auftragslage. Lieferzeit: ein Jahr.

Am Steg wirkt die neue Sirius dann dennoch zunächst befremdlich. Die unruhige Fensterlinie an Backbord steht im Widerspruch zur ansonsten schieren, ernsthaften Rumpfform. Sie erscheint zu laut, zu radikal für das eigentlich eher kernige Genre der Langfahrtyacht. Doch sobald man an Bord geht, kehrt sich der erste Eindruck um. Plötzlich erscheinen die Scheiben in der Schale stimmig, ja geradezu logisch. Von unter Deck betrachtet, ermöglichen sie aufregende Perspektiven; öffnen das Boot nicht nur für jede Menge Licht, sondern auch für beeindruckende Panoramablicke. Wie schon das rundum verglaste Deckshaus verbinden die Rumpffenster innen und außen, ob am Ankerplatz oder auf See. Sie verlängern gewissermaßen die Vorteile der DS-Konzeption in die Kammern; am wirkungsvollsten mittschiffs.

Und man fragt sich unwillkürlich, ob eine Sirius 35DS ohne die zusammen mehr als 7.000 Euro teuren Extra- Gucklöcher der Baunummer 1 nicht ein ganz anderes Boot wäre. „Ich war selbst überrascht, was das ausmacht", sagt Torsten Schmidt. Und es liegt nicht Erleichterung in seiner Stimme, sondern Stolz.

Sirius 35DS: Viel Raum - Genug Leistung

Für die Sirius-Werft, die auf 40 Jahre Erfahrung zurückblickt, markiert die 35DS den größten Entwicklungsschritt in der jüngeren Firmengeschichte; wahrscheinlich den wichtigsten seit der Konzentration auf Yachten mit Deckshaus. Bootsbaumeister Schmidt will damit neue Kunden gewinnen und die stark konservativ geprägte Stammklientel dennoch halten. In Marc-Oliver von Ahlen fand er einen Konstrukteur, der an solchen Balanceakten Spaß hat. Der ungemein präzise-detailliert arbeitet und zugleich ein Gespür hat fürs große Ganze.

Sein Auftrag: ein Boot zu zeichnen, das zeitgemäß aussieht, jeden nur erdenklichen Komfort unter Deck bietet, auf See und im Hafen Souveränität vermittelt und dabei auch noch anständig segelt. Auf 35 Fuß Länge sei die Gefahr groß, dass man „alles reinpackt, und am Ende kommt eine Puppenstube raus, die gar nicht richtig funktioniert", sagt von Ahlen. Mit Maßen, die nicht passen oder jeder Menge Luxus, dafür aber mäßiger Segelleistung.

Sirius 35DS: Unter Segeln

Es weht ein frischer, stark böiger Südwest am ersten Testtag. Die Temperaturen liegen um 5 Grad, alle halbe Stunde gehen heftige Schauer nieder, bisweilen mit Schneeregen. Bedingungen wie gemacht, um die Eigenschaften einer Deckssalonyacht auszuloten. Der Motor brummelt beim Ablegen leise unterm Cockpitboden. Das Steuerrad liegt gut zur Hand, obwohl es mit 70 Zentimeter Durchmesser klein wirkt in der breiten Plicht. Aber größer geht's nicht, denn das Testschiff ist mit einer schwenkbaren Steuersäule von Jefa ausgerüstet. Die ist 4.600 Euro teurer als die serienmäßige Pinne und lässt sich in drei Stellungen arretieren: mittig, nach Backbord oder nach Steuerbord geneigt. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber durchaus sinnvoll, wie sich später zeigen wird. Im Hafen empfiehlt sich meist die Zentralposition.

Sobald die Leinen losgeworfen sind, demonstriert die Sirius schon eine ihrer Stärken. Mit gezielten Gasstößen lässt sie sich in der engen Boxengasse fast auf der Stelle drehen. Ein Talent, das von dem sehr weit achtern eingebauten Volvo-Penta-Diesel herrührt, dessen Propellerschub das Ruderblatt fast direkt anströmt – anders als bei den meisten modernen Konstruktionen mit Saildrive, deren Prop vorlicher steht. Außerdem reicht der Bug schon im Vorfuß gut 20 Zentimeter tief unter Wasser, was mehr Seitenführung gewährleistet als heute üblich. Achtern Querbeschleunigung, vorn Halt – das sorgt für über durchschnittliche Manövriereigenschaften und lässt ein teures Bugstrahlruder (Aufpreis 5.780 Euro) nahezu überflüssig erscheinen.

Vor der Hafenausfahrt präsentiert sich die Lübecker Bucht mal in düsterem Grau, mal in kühlem Blau. Der Mittelwind pendelt zwischen 15 und 17 Knoten, dreht aber beim Durchgang einer Front immer wieder mächtig auf und bläst dann mit bis zu 28 Knoten. Die Testyacht, die über nahezu alle Extras der langen Aufpreisliste verfügt, ist für ein so breites Windspektrum prädestiniert. Mit der Kuttertakelung am Bugspriet (17.700 Euro) kann man binnen Sekunden von der serienmäßigen Selbstwendefock auf die große Genua wechseln und umgekehrt – 22 oder 40 Quadratmeter auf Abruf. Wir setzen das Groß im ersten Reff und rollen die kleine Fock aus. Bei 3 bis 4 Beaufort und flachem Wasser reicht das für 15 Grad Lage, Wendewinkel leicht unter 90 Grad und an die 5 Knoten Fahrt.

Obwohl die 35DS spürbar untertakelt ist, vermittelt sie leichten, gut definierten Ruderdruck. Gemessen an der alten 32DS gibt sie sich zwar weniger kurstreu und luvt rasch an, sobald man die Hand vom Rad nimmt. Aber sie fühlt sich deswegen recht behände an, keineswegs schwerfällig oder taub, was angesichts der hohen Verdrängung erwartbar wäre. Die Werft beziffert das Leergewicht auf 7,4 Tonnen; bei der voll ausgestatteten Baunummer 1 mit reduziertem Tiefgang (1,60 statt 1,90 Meter) werden es eher acht Tonnen sein, wenn nicht noch mehr.

Die ersten Schauerböen bringen 20 Knoten Wind und mehr Lage, aber kaum mehr Druck. Jetzt läuft das Boot 5,5 bis 5,7 Knoten. Mit ausgerefftem Groß schafft die Sirius auch 6 Knoten am Wind. Um ihre Grenzen auszuloten, wechseln wir auf die Genua 1. Auch die kann sie lange tragen, verabschiedet sich zwischen 18 und 20 Knoten Wind dann aber hin und wieder sanft in die Sonne. Insgesamt sehr gutmütige Segeleigenschaften also. Raumschots erreicht sie mühelos ihre Rumpfgeschwindigkeit und mehr; in der Spitze loggen wir 8,3 Knoten.

Als es auf 7 Beaufort auffrischt, müssen wir wieder runterschalten: zweites Reff im Groß, vorn nur die S-Fock. Ein Vorgang, der sich dank guter Leinenführung und Cockpitergonomie zu zweit in weniger als einer Minute er ledigen lässt. So pariert die 35er auch ruppige Bedingungen. Sie segelt dabei trocken, ihr Bug schlägt in der kurzen Welle nur gelegentlich. Unter Deck bleibt es bemerkenswert ruhig; das spricht für die Strukturfestigkeit der Verbände. Am nächsten Tag das Kontrastprogramm: abflauender Südwest von 8 bis 12 Knoten, viel steter als zuvor. Es ist der eigentliche, der härtere Test für die Sirius. Ihre Segeltragezahl von 3,8 dämpft die Erwartungen. Tatsächlich fällt es bei Leichtwind schwerer, sie effizient zu steuern. Denn einmal abgestellt, braucht sie lange, um wieder auf Trab zu kommen. Selbst mit der großen Genua macht sie erst ab 3 Beau fort richtig Spaß. Darunter kommt man vorwärts, aber als aktiver Segler nicht so ganz auf seine Kosten.

Da lässt man dann besser den Autopiloten ran und genießt die Vorzüge des Deckssalons. Dabei sind Cockpit und Deck so praxisgerecht gestaltet, dass der Umgang mit Rad und Leinen leicht fällt. Etwas Gewöhnung erfordert nur die hochliegende, vor der Steuersäule angeschlagene Großschot und die exponierte Position der Fallwinde auf dem Kajütdach. Hier lässt sich zwar im Stehen gut kurbeln; kommt der Baum über, befindet sich der Trimmer aber im Gefahrenbereich. Schlichtweg genial dagegen der hohe, umlaufende Süllrand, die breiten Bänke und die stets entspannten, selbst durch das Deckshaus hindurch ausreichend gute Übersicht bietenden Sitzmöglichkeiten für den Rudergänger.

Da spürt man die Akribie, mit der Marc-Oliver von Ahlen und Torsten Schmidt den 3D-Entwurf optimiert haben. Ohnehin ist es bemerkenswert, wie gut die Sirius 35DS alte Sirius-Tugenden mit zeitgemäßen Konstruktionsmerkmalen verbindet. Für die Werft typische Elemente wie die vier Zentimeter starken, massiven Teak-Scheuerleisten blieben. Ebenso das Grundlayout. Aber der Freibord ist höher, der Spant trapezförmiger, die Linien sind strenger, gerader. Wer die nur etwa halb so teure 32DS vor Augen hat, könnte von einer Revolution sprechen. Aber das trifft es nicht. Der Riss ist eher eine sehr gründliche Weiterentwicklung des Deckssalonkonzepts. Eine Yacht, die „von innen nach außen konstruiert" wurde, wie von Ahlen sagt – und so auch beurteilt werden muss.

Sirius 35DS: Unter Deck

Unter Deck glänzt die Sirius wie wenige andere Boote. Ob es die Güte des Ausbaus ist, die von Hand erst im Schiff lackierten Mahagoni-Furniere, die millimetergenauen Passungen von Blenden, Umleimern oder ganzen Möbelmodulen – überall begegnet einem erlesene Qualität, die so heute nur noch wenige Werften bieten. Das und die Komplexität der Konstruktion erklärten am Ende auch den üppigen Preis von fast 275.000 Euro, der sich mit nötigen und wünschenswerten Extras spielend noch um 20, 30 Prozent nach oben treiben lässt. Das ist rasend viel für eine 35-Fuß-Yacht.

Aber die Sirius entspricht tatsächlich eher einem 38-Fuß-Boot. Zum einen nutzt die Werft das Deckshaus – wegen der Rundumsicht an sich schon ein Mehrwert – gewissermaßen doppelt. An der breitesten Stelle bietet die 35DS zwei Etagen: unter dem Salon einen Technikraum mit Werkbank, ein Traum vieler Blauwassersegler. Davor liegt die geräumige und dank der Rumpffenster auch sehr helle Eignerkammer. Der zur Verfügung stehende Stauraum ist an wie unter Deck derart gewaltig, dass man gut daran tut, vor längeren Törns Packlisten zu schreiben. Andernfalls verlieren sich Konserven, Ersatzteile oder Flaschen in den Tiefen der zusammen fast acht Kubikmeter (!) messenden Backskisten und Bodenfächer. Ein Wert, den herkömmliche Fahrtenyachten gleicher Länge oft nicht einmal zur Hälfte er reichen. Zwar ist das Boot im Standard nur für ein Eignerpaar mit zwei Gästen konzipiert; es lässt sich dank des Rumpfvolumens und der vielfältigen Ausbaumöglichkeiten aber auch für eine Sechser-Crew konfigurieren.

Überhaupt gibt es wohl kaum ein wandlungsfähigeres Serienschiff. Strenggenommen ist die Sirius eher ein Semi-Custom. Allein drei Varianten für das Deckshaus sind wählbar: klassisch in Mahagoni, dynamisch mit geschwungenen Seitenfenstern im GFKAufbau oder – wie das Testschiff – die Elegance- Version. Fünf verschiedene Tiefgänge bietet die Werft: Hydraulikkiel, Kimmkiel und drei Festkiele. Außerdem mehrere Varianten fürs Kajütlayout. „Wir können so flexibel sein, weil wir eine extrem hohe Fertigungstiefe haben und kaum Vorprodukte einkaufen", erklärt Torsten Schmidt. Damit sind die Plöner ziemlich allein am Markt, der von meist konservativeren Deckssalonyachten geprägt ist. Die Wettbewerber bieten grundsätzlich ähnliche Konzepte, aber nicht eine solche Vielfalt an Individualisierungsmöglichkeiten. Geschweige denn Rumpffenster im Superyacht- Stil. Und die machen viel aus, wenn man sich an die Optik erstmal gewöhnt hat. Durch sie fühlt man sich auf der Sirius 35DS auch drinnen unter Deck stets, als sei man draußen. Und ist es nicht das, was uns aufs Wasser zieht?

 

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